Samstag, 22. November 2008

Bank oder Sparkasse?

Banker und Unternehmer sind aktuell ins Gerede gekommen, also geborene Risikoträger. Die neuen Helden der Gesellschaft der Sparsamkeit sind Buchhalter, Sparkassendirektoren und Finanzpolitiker (Staatssparer), also geborene Risikovermeider, frei nach dem Motto: „Wir haben es immer schon gewußt (aber niemals gesagt!!!)“ .

Wer fragt sich vor diesem Hintergrund noch ernsthaft, ob sich Gesellschaften in der Geschichte eher gesund gespart oder eher gesund investiert haben? Sparen ist Ausdruck des Wunsches nach Erhalt eigenen oder fremden Erfolges aus der Vergangenheit, Investieren ist Ausdruck der Hoffnung nach eigenem oder fremdem Erfolg auf der Basis guter Ideen und ihrer Realisierung in der Zukunft. Sparen ist rückwärtig orientiert, Investitionen folgen dem Postulat des vorwärts.


Obama ist aktuell en vogue mit seinem inhaltsleeren „yes, we can“; warum wohl, in einer Gesellschaft, in der nichts mehr geht, weil es alle nicht gewesen sein wollen? Was aber sollen wir nun können können? „Herr obama Dich unser“ in der Beantwortung dieser Frage!

Die Täter standen schon immer unter Generalverdacht. Dank Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ wissen wir auch, daß der kreative Mensch mit seiner aufrührerischen Seele immer nah beim Verbrecher liegt, und die feige Gesellschaft der Ängstlichen nichts lieber bestraft als das Scheitern der Mutigen.

Die klassische Erfahrung unternehmender Menschen im Angesicht einer Sparkasse war die Frage nach „Sicherheiten“. Mit anderen Worten: die Perpetuierung der vorhandenen Ungerechtigkeiten als Voraussetzung für gebremsten Pseudowandel. Und die Antwort der Sparkassen auf ein Kreditanliegen auf der Basis einer „nur“ guten Geschäftsidee war weit häufiger als gewünscht: „No, we can not!“ Und wenn ein Sparkassendirektor durch die Inkaufnahme eines kalkulierten Risikos dann doch einmal über seinen Schatten gesprungen ist, oder besser durch einen Kreativen dazu verführt und entsprechend als das vorgeführt wurde was er ist, ein peinlicher Nachäffer und Feigling, so stieß er - mit Helmut Dietl durch seinen Film „Rossini kaum prägnanter karikierbar - ein freudiges „Ich hab ein gutes Gefühl!!!“ aus, wohlwissend dass auch im Falle seines Scheiterns natürlich die Zeche wieder der „kleine Mann“ bezahlen muß. Risikofinanzierungen waren zumeist eben nicht Aufgabe der Sparkassen, sondern eigens dafür gegründeter Banken, und auch diese hatten in ihrem öffentlichen Ruf unter ihrer eigenen ebenso sicherheitsgeleiteten Bremsermentalität zu leiden. Immerhin aber waren mit Banken Risikogeschäfte zu finanzieren. Der Banker ist schuld, es lebe der Sparkassendirektor! Leute orientiert Euch an diesem Vorbild: Bringt Euer Geld zur Sparkasse! Seid genügsam und mehret Euch, stets vorsichtig und bedachtsam, denn nur dies seid ihr dem Vaterland schuldig.

Wir wollen in diesem Zusammenhang einmal nicht über die menschliche Peinlichkeit der aktuellen Banker-, Unternehmer-, und Politikerriege reden, und schon gar nicht über die unter ihnen so weit verbreitete Habgier, Selbstgefälligkeit, Dummheit und Leichtfertigkeit, aber wir brauchen doch Banker, Unternehmer und Investoren!!! Alle risikobelasteten Institutionen drohen nun zudem ebenfalls in den Sog der menschlichen (!) Inkompetenz der Verantwortlichen zu geraten und selbst die „Geld“gesellschaft an sich gerät unter Generalverdacht.

Was aber wäre die Moderne nach Simmel ohne die anonyme Qualität des Geldes? Stets bekannte und stets kontrollierte Geschäfte und Lebensbeziehungen stehen uns nun ins Haus, als Antwort auf das Scheitern der „Freien“, bedingt durch deren Mißbrauch von „Freiheit“. Die moderne Planwirtschaft geriert sich zunehmend sozial, dahinter verbirgt sich aber die Denkwelt der großen alten tyrannischen Imperien, deren Hauptaufgabe darin lag, die Tributzahlungen exakt zu überwachen. Alle mobilen, weil annonymen, monetären Institutionen, wie die „Aktien“, die „Optionen“ und die „Termingeschäfte“ waren Motoren des sozialen Fortschritts. Gerade weil sich die Risikoträger nicht ständig und persönlich „outen“ mußten für ihre Handlungen und Motive. Die „Gier“ nach Gewinn angewandt auf den rechten Zweck bleibt nach wie vor ein wünschenswerter sozialer Motor.

Man sehe sie sich doch an, die stets auf Sicherheit bedachten Oberlehrer, Bedenkenträger, ohne erotische Ausstrahlung, die sich noch vor jedem wilden Orgasmus fragen: Ja, darf ich denn das? Die Sozialdemokraten waren schon immer Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer mit einer tief verwurzelten Polizistenmentalität. Man schaue nur in die müden Augen der rechten wie linken, grünen wie roten, gelben wie schwarzen politisch Korrekten, die Langeweile ihrer Ehen, und achte sensibel auf die innere seelische Abneigung und Verachtung durch deren eigenen Kinder. Worin liegt ihre Vorbildfunktion, im „Aushalten“ der eigenen menschlichen Langeweile? Man berücksichtige ferner deren spurenlosen Abgang selbst noch im Tod, auf deren Grab kein Stein als Bekenntnis zu einer Sache sondern nur ein riesengroßes Fragezeichen gepflanzt gehört. Und selbst zu den ernsthaften und mutigen Fragen ist diese Kaste der Kümmerlinge im Laufe ihres Lebens nicht gekommen. Sie haben auch nicht den Mut sich zum Scheitern vor den Fragen durch fehlende Antworten zu bekennen. Also wäre sogar das Fragezeichen als das persönliche Kreuz auf dem Grabe wohl eher verfehlt. Nur ein durch nichts zu manifestierendes „Nichts“ als die Verkörperung des Vakuums, das sie nicht hinterlassen sondern vielmehr bedeutet haben, könnte die angemessene Warnung auf der Grabstätte ihres Scheiterns sein.

Mächtige Akteure sind nun zu öffentlichen Underdogs geworden und werden für ihre unbedachten „Entscheidungen“ sozial geächtet, was einerseits vor dem Hintergrund der Arroganz der Macht ein wünschenswerter Prozeß ist; andererseits aber mißfallen mir die neuen Helden, die feigen und übervorsichtigen, die pseudo-bedachtsamen und die karriere-eilfertigen Kriecher mit beamtengesichertem Status. Statt „Sex in the City“: „Sex with a pity“. Dostojewskijs Spieler haben die Welt nun verzockt, aber sie haben immerhin ein Spiel in der Welt gewagt. Natürlich ist ein ökonomisches Spiel, vor allem dann, wenn es scheitert, immer ein Spiel zu ungunsten anderer Personen, und selbstverständlich bleibt noch genügend Spielraum für anständiges und nachhaltiges wirtschaftliches Handeln (der ehrbare Kaufmann), aber um diese Verantwortung muß der Spieler wissen und mit der Strafe durch Konkurs, sozialen Abstieg oder Ächtung zahlt er zu recht (!) seinen Preis (!).

Wie aber wird soziale und persönliche Untätigkeit bestraft? Die Todesstrafe lautet „Köpfen“ durch vorzeitiges abhacken des Genuinen, des Authentischen, Eigensinnigen und Erotischen bzw. „Hängen“ durch ein im Leben Aufgehängtsein in die klammheimliche aber nie wirklich enden wollende Karrieresucht, das Dasein eines freudlos mittelmäßigen Workaholics“ oder die bigotte und pharisäerhafte Pseudozufriedenheit des besserwissenden „Hab ich doch gleich gesagt!“. Wo aber bleibt die verständnisvolle Milde für diese ansonsten so ge- und beförderte wertvolle soziale Randgruppe der ewig Ängstlichen, „weil doch nicht jeder ein Held sein kann“? Wem auch immer sei Dank für die geniale Tröstung der ewig Feigen durch eine eigene Institution und die Abmilderung des Todesurteils in ein nur „lebenslänglich“. Was zur Beruhigung bleibt, ist das samtweiche kaum spürbare Urteil der größten persönlichen Selbstverachtung: die unehrliche leidenschaftslose bürgerliche Ehe. Yes we can.

Montag, 23. Juli 2007

Mitfahrer, Kultur der Knappheit und der Andere

Martin Buber wäre bestimmt auch Mitfahrer geworden. Ich nehme gerne Mitfahrer mit und bin auch schon öfter als Mitfahrer gereist. Mitfahren ist chatten aber auf besserem, weil realerem Niveau. Das Mitfahren ist eine der schönsten Möglichkeiten die Zwangsverhältnisse im Umgang mit dem Anderen zu simulieren, die Familien und Nachbarschaften oft so schön und doch manchmal auch ebenso unerträglich gestalten. Mitfahrgemeinschaften sind Notgemeinschaften. Die Nostalgie der Nachkriegsarmut und die Verklärung der knappesten aller modernen Gesellschaften in Form der Ostalgie kehren in der Mitfahrgemeinschaft auf erträglichem Niveau wieder. Auf engstem Raum drängt sich der Andere auf und man selbst wird durch Wahrnehmungszumutung zum kommunikativen Belästiger. Man ist in ein bewegliches Gehäuse eingeschweißt, das nur in Richtung auf ein Ziel Erlösung voneinander verspricht, und doch, es lebt sich häufig gut in dieser Notgemeinschaft. Mit starrem Blick auf die Straße und kurzen Exkursen in die Landschaft spricht es sich verhüllt wie am Telefon. Die Dialogform pendelt zwischen einem wirklichen Gespräch und aneinandergereihten Monologen. Man sieht sich nur selten an, wenn man spricht, Gestik und Mimik sind reduziert und unterliegen keinem sofortigen Bestrafungsverdacht. Die Mitreisenden lassen einander mehr Zeit, um Rede und Gedanken zu entfalten, zudem hört man einander auch intensiver zu und unterbricht sich seltener als im Gespräch mit Bekannten oder Freunden. Folgenloser als Familie und Nachbarschaft ist dieses kurzzeitige Beisammen und deshalb ist man auch offener - selbst für befremdlichere und ganz selten sogar für fast schon bedrohliche Andersartigkeiten. Preiswert und "ökologisch" ist das Mitfahren und erfordert den ganzen Mut sich in die Hände und die Verantwortung eines anderen Menschen zu begeben. Mitfahren heißt nach freier Wahl dasein, der Mitfahrer hat im Gegensatz zum Fahrer zudem das egoistische Wahlrecht des Einwendens und Abwendens bis hin zum "Bei-" und "Mit-Schlaf" in ungeschützter Nachbarschaft. Selten rückt man Fremden mit körperlichen Eigenheiten wie Schnarchen, Schmatzen oder die ruckartige fast schon störende kuschelnde Suche nach einem virtuellen Kissen so nahe auf den Pelz, wie wenn man seinen Eigenraum in der Mitfahrkugel zum selbstverliebten Ausflung ins Land der Träume "mißbraucht". Dem Mitfahrer ist es gestattet sich der Kommunikation sowohl zu verweigern, wie es umgekehrt ebenso erlaubt ist, sich spontan einzumischen und wieder dabei zu sein. Nur sehr selten habe ich das Mitfahren in schlechter Erinnerung behalten. Meistens hat es mich kurzzeitig bereichtert und in der Regel war es konsequent folgen- und fortsetzungslos. Hätte man in den Zügen das "Gemeinschafts"-Abteil nicht zugunsten der egomanen Großraumwagen abgeschafft, so wäre der Zug sicher die vorteilhaftere Alternative, was das Kennenlernen angeht - so man es sucht. Ich zumindest lerne gerne Menschen kennen und suche deshalb in modernen Zügen fast immer den Speisewagen auf, in dem man dem eigenen Beuteschema nach eigener freier Wahl mit der notwendigen Distanz folgen kann. Billiger ist der Zug ja leider schon lange nicht mehr, und die neue Servicebahn bedient nur wieder die eigenen Isolationsegoismen. Notebooknutzer und opulent raumausgreifende Zeitungs- und Bücherleser aber auch die "Mitbringer" von Speisen und Getränken sind da die vorteilhafteren Ausnahmen als potentielle Mitglieder für kommunikative Notgemeinschaften im Zug, nachdem sie mit kurzen gegenseitigen Blickbedrohungen ihr Revier an den Minischreibtischen abgesteckt haben und dann doch auch manchmal wider die eigene Erwartung und wider eigenes Wissen ins Gespräch miteinander geraten. Ansonsten aber ist die Notgemeinschaft Auto der Notgemeinschaft Bahn auf Jahre überlegen, schon deshalb weil das Auto als Mitfahrauto in Zukunft immer mehr zur alten Bahn mutiert und sich die moderne Bahn mit ihren Fahrtrichtungsgästen auch kommunikativ in Richtung auf das alte Auto mit seinen Individualisten in der Sardinendose bewegt. Nur der Zweisitzer und das Cabrio scheinen beim PKW genuin mitfahrfeindlich zu sein. Da bringt man sich die bekannte Begleitung als Accessoire der Reise wahrscheinlich gleich vorher mit. Jeder fährt in der Bahn der Jahrtausendwende für sich allein und im Auto wohl eher kollektiv - die Mineralölwirtschaft und der Staat machen es möglich, aber, ach ja, da bleibt noch das Handy, und das ist eine ganz eigene und andere Geschichte, sowohl in der Bahn als auch im Auto.


Literatur:

http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Buber

Kollektivstrafen, Rechtssicherheit und Rechtsempfinden

In meinem politisch korrekten Bekanntenkreis erlebe ich aktuell ein merkwürdiges und erschreckendes Phänomen: Die Erodierung des Rechtsempfindens, was Kollektivstrafen betrifft. Für mich gilt der Grundsatz, dass jemand, der Teil einer Gemeinschaft ist, in dem es durch ein Mitglied der Gemeinschaft zu einem Rechtsbruch kommt, mit diesem "Täter" zusammen nicht bestraft werden darf, wenn er für dessen "Tat" als "Mittäter" nicht direkt mitverantwortlich ist. "Doping" ist ein solcher Rechtsbruch. Die Ausblendung der öffentlich-rechtlichen Sender aus der Berichterstattung von der Tour de France bestraft aber diejenigen Fahrer, die "sauberen" Sport betreiben und Außerordentliches und Bewundernswertes leisten. Politisch Korrekte wenden sich wutschnaubend gegen das private Fernsehen, das in diesem Sinne doch nur unsere positive rechtsstaatliche Ordnung bewahrt.

Auch politisch Konservative arbeiten immer häufiger mit Generalverdacht und Generalverurteilung ganzer Kollektive. Die vorausschauende Bestrafung sozialer Umfelder "islamischer Terrorismus", "Ausländer und 'Zugeroaste'" aber auch "Hooligans" erwächst aus der Ungeduld und der Unzufriedenheit mit den rechtsstaatlichen Prozeduren. Sind wir uns eigentlich bewußt, wie schnell wir den Rechtsstaat unnötig und vorschnell preisgeben und damit das demokratische Rechtsempfinden massiv gefährden?

Rechtsunsicherheit auch im sozialen Bereich: Bestandsschutz bedeutet gesicherte Lebensplanung. Wenn wir individuelle Lebenspläne durch leichtfertiges und voreiliges kollektives Außerkraftsetzen von Besitzständen gefährden, dann leidet die Rechtssicherheit. Rentenkürzungen und sonstige Sanierungsmaßnahmen - im Nachhinein - obwohl der Bürger vom Bestand der getroffenen Regelungen ausgehen mußte, sorgen für eine weitere Erosion des "gesunden Rechtsempfindens", enttäuschen die Rechtsgeschützten und schwächen die Motivation den Rechtsstaat zu entwickeln und zu verteidigen. Härten sollten eigentlich eher denen aufgezwungen werden, die im Bewußtsein solcher Härten handeln und planen können. Soziale Bestrafungen "rückwärts" und im Nachhinein sind in diesem Sinne ein Angriff auf den Rechtsstaat und unterhöhlen ihn.

Kommt schließlich auch noch die weit verbreitete Neigung hinzu, vorhandene Gesetze nicht konsequent anzuwenden sondern für ungelöste Probleme, die auf der Basis alter Gesetze hätten gelöst werden könnten, durch symbolische Politik trojanische Neuregelungen zu schaffen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn nachfolgende Generation den Rechtsstaat nicht für eine sichere und komfortable Heimat sondern für eine eigenwillige private stets individuell interpretationsfähige verkommene Wiese halten, auf die jeder sein Unkraut pflanzen darf.